Im Dialog Phaidon berichtet der platonische Sokrates anschaulich, wie er in seiner Jugend gehofft habe, in der antiken Naturkunde die Ursache aller Dinge zu finden, und wie er dabei enttäuscht worden sei. Selbst Anaxagoras habe sich nur mit dem sinnlich Wahrnehmbaren beschäftigt und sei die Antwort auf das eigentliche „Warum“ schuldig geblieben. Platon möchte die Entgöttlichung der Natur durch die alte Naturphilosophie wieder rückgängig machen. Er versucht, das Gesetz in der Natur zu gründen und versteht Natur im Sinne eines Ideals. Die Welt ist für ihn aus dem Prinzip des Guten und des Sein-Sollenden aufgebaut. Finale Ursache und Kausalität müssen ebenso zusammenarbeiten wie teleologische Aspekte und mechanische Wirkungen.
Die Welt ist ein gut funktionierendes Lebewesen, das durch den Demiurgen geordnet wurde. Der Kosmos ist lebendig, beseelt und vernunftbegabt. Er ist unvergänglich, autark und vollkommen, er ist göttlich und glückselig. Der Kosmos ist der wahrnehmbare Gott, der einzige seiner Art, Abbild des intelligiblen Lebewesens, d. h. der Kosmos ist Abbild der Totalität aller Ideen (Szlezák, a.a.O., S. 589). Die geordneten, absolut exakten, mathematisch erklärbaren Bewegungen der Gestirne beweisen, dass hier vernunftbestimmte Götter wirken. Das zu leugnen, wäre äußerster Unverstand (Platon, Nomoi 899b). Die Bewegung des Nous wird durch das Bild des Kreises als stets gleiches Kreisen um dasselbe gedeutet (Platon, Nomoi 898a). Der Himmel ist voll mit Gutem, aber auch mit Entgegengesetztem (Platon, Nomoi 906a). Der Mensch soll den Kosmos beobachten und sich dadurch an Gott angleichen (Michael Erler: Platon, 2007, S. 264). Denn Gott ist das wahre Maß aller Dinge (Platon, Nomoi 715e-716d).
Da es eine Allverwandtschaft der Natur (d. h. der gesamten Wirklichkeit) in allen ihren Teilen gibt, walten überall dieselben Gesetze. Körper, Seele, Staat und Kosmos sind für Platon verschiedene Stufen von organischer Einheit. Das harmonische Zusammenwirken der Teile ist in all diesen Bereichen der natürliche Zustand, der beim Körper Gesundheit, bei der Seele und beim Staat Tugend und Gerechtigkeit, beim Weltall Ordnung (taxis, kosmos) heißt. Einheit und Harmonie sind stets die Wirkung der Vernunft (nous), die beim Körper und beim Kosmos die demiurgische Vernunft der Physis ist, beim Einzelnen und beim Staat die ethisch verantwortliche Vernunft des Logistikon bzw. der führenden Schicht im Staat, oder die immanente Vernunft der Gesetze (Thomas Alexander Szlezák: Platon, 2021, S. 387).
Die Erkenntnis der Umläufe des Alls und die Angleichung der Seele an diese führen zu der dem Menschen möglichen Unsterblichkeit und zu Glück (Platon, Timaios 89d- 90d). Das Interesse Platons galt demnach hauptsächlich den geistigen Prinzipien und damit auch noch der Mathematik. Die Naturwissenschaft betrifft aber die empirische Welt der Erscheinungen, die als defizitäres Sein das vollkommene Reich der Ideen nur unvollkommen abbildet. Lediglich volle Wahrscheinlichkeit ist in den Naturwissenschaften der höchste Wahrheitsstatus, der in diesem Bereich erreichbar ist (Platon, Timaios 72d). Das System der Mathematik fasst Platon dagegen im Einzelnen und im Ganzen als Vergewisserungsbereich und Strukturmodell seiner Ontologie auf. Deshalb ist er in höchstem Maße „an der Systematisierung und Axiomatisierung der Mathematik“ interessiert (Konrad Gaiser: Platons ungeschriebene Lehre, 1998, S. 425).
Das All entsteht erst durch die demiurgische Anordnung der Elemente. Der Kosmos ist ein sichtbarer Gott und hat die Gestalt einer Kugel, in seiner Mitte befindet sich die kugelförmige Erde. Die Gestirne sind überwiegend aus Feuer. Die Kreisbewegungen der Gestirne sind eine Funktion ihrer Vernunft, weil die Kreisbewegung der Bewegung des Nous am nächsten verwandt und am ähnlichsten ist. Die Gestirne sind als sichtbare Götter Lebewesen und werden durch die Bande der Seele zusammengehalten. Ihre Bewegungen sind Teilbewegungen der einen Weltseele (Szlezák, a.a.O., S. 447-448).
Für jede Ordnung besteht bei einem Mangel an Gefügtheit die Gefahr, im grenzenlosen Meer der Ungleichmäßigkeit zu versinken. Denn der alte Zustand der Ungeordnetheit ist nie vollständig überwunden. Das grenzenlose Meer der Ungleichmäßigkeit ist ein Bild für das negative Prinzip der unbestimmten Zweiheit (aoristos dyas). Es ist das, was auch der Chora zugrunde liegt, die durch die Weltschöpfung zu etwas Bestimmtem geformt wurde. Das grenzenlose Meer der Ungleichmäßigkeit/die unbestimmte Zweiheit ist ein konstitutiver Bestandteil der Welt, stets zugleich präsent mit der Ordnung, die der Gott aus ihm/ihr schuf (Szlezák, a.a.O., S. 408).
Der Demiurg als Vater der Welt
Schon bevor das Universum entstand gab es das Sein, den Raum und das Werden. Dem Dialog Timaios zufolge hat ein mythischer Demiurg, der Vater der Welt, entsprechend der ewig seienden Idealwelt die dingliche Welt aus der Materie gestaltet. Die Welt als Ganzes ist ein Bild des Schöpfers und zugleich ein ewiges, vollkommenes, lebendiges, beseeltes, vernunftbegabtes Wesen. Die Weltseele ist das Prinzip der Weltbewegung und des Lebens. In ihr sind das Identische (to autón), Eine und das Andere (to héteron), Mannigfaltige vereinigt. Aus dem Unbegrenzten (apeiron) und der Grenze (peras) entsteht das gemischte und gewordene Sein (mikton). Die demiurgische Ursache der Mischung ist die göttlich-kosmische Vernunft (nous). Die Ursache der Mischung ist das, was alles hervorbringt.
Der Demiurg, der mit Blick auf das Modell [der Ideenwelt] das vorgegebene Material ordnet, dient der Beantwortung der Frage nach der Verbindung von Idee und Realität. [Das reine Sein der Ideenwelt ist das Modell und die Welt des Werdens ist das Abbild. Der Charakter des Modells bestimmt die Qualität des Abbilds. Damit verbunden ist das Verhältnis von Wahrheit und Meinung]. Die herstellende Aktivität des Demiurgen sorgt für die Kausalordnung, die im sinnlich wahrnehmbaren Bereich manifestiert wird, dabei freilich ihre Grenzen am Widerstand der Notwendigkeit findet und schon deshalb nicht zu vergleichen ist mit der Allmacht des christlichen Gottes. Mit Grund hat man auf die Parallelität der mit dem Demiurgen verbundenen Vorstellungen zu den vier Gattungen hingewiesen, die im [Dialog] Philebos entwickelt werden, wobei der Demiurg mit dem [Nous] gleichzusetzen ist, die Chora mit dem [Apeiron], die Ideen mit dem [Peras], die sinnliche Welt mit dem [Mikton (Gemischtes)]. Die Abbildung der Ideen geschieht in einem schon vorhandenen Gefäß des Werdens oder in einem Raum ([Chora]), dem materiellen Prinzip, das für die Verschiedenheit der Dinge verantwortlich ist, diesen einen Ort gibt und zu ihrer Konstitution beiträgt (Metaphern wie Mutter, Amme). Sie ist Notwendigkeit nicht im Sinne derjenigen eines Naturgesetzes oder eines Restes, der als umherschweifende Ursache noch nicht dem Prozess der Rationalisierung unterliegt, sondern als Gegenstück zu einem vom Demiurgen ausgehenden Finalismus. (Michael Erler: Platon, 2007, S. 268)
Gott ist seinem Wesen nach gut und kann folglich nur Gutes verursachen. Für das Schlechte in der Welt sind andere Ursachen zu suchen (Platon, Politeia 579b-c). Gott ist gut und er ist „einfach“, d. h. ohne Zwiespalt in sich selbst. Zusammen bedeutet das […], dass die letzte Ursache alles Guten in der Welt „eine“ ist, und zwar in ihrem Wesen: Das Gute ist das Eine (Szlezák, a.a.O., S. 582). Gott hält Anfang, Ende und Mitte aller Dinge in Händen (Platon, Nomoi 715e-716a). Der Demiurg ist die personifizierte geistige Ordnung. Manche setzen ihn mit dem obersten Prinzip, dem Guten, gleich. Andere setzen ihn mit dem Ideenkosmos gleich. Wieder andere erkennen in ihm „jenen eigenständigen transzendenten Geist […], welcher der Weltseele übergeordnet ist. Im Geist wäre dann ein demiurgisch schöpferisch-ordnender, mit dem Demiurgen identischer Aspekt des intelligiblen Lebewesens, ein kreativer Aspekt der Ideen und ein paradigmatischer Aspekt der geistigen Welt zu sehen“ (Michael Erler: Platon, 2007, S. 459).
Der Kosmos entstand aus dem Zusammenwirken von Vernunft (nous) und Notwendigkeit (ananke), wobei die Vernunft die Oberhand behielt und die Notwendigkeit zu überreden vermochte, das meiste bei der Weltentstehung zum Besten zu führen (Platon, Timaios 47e-48a). In der Ursächlichkeit des Nous bindet das Gute die Dinge zusammen. Der göttliche Demiurg ist nur ein anderer Ausdruck für die Ursächlichkeit der Ideenwelt und insbesondere der Idee des Guten, die ihrerseits die Ursache der anderen Ideen ist. Der Demiurg steht für die Ideenwelt in ihrer Gesamtheit, die für Platon nicht ohne Nous ist. Diesem Nous wird mit dem Handwerker-Bild eine aktive Kraft zugeschrieben. Der schwer auffindbare Demiurg und Vater meint also nichts anderes als den dynamischen Aspekt des Ideenkosmos (Szlezák, a.a.O., S. 599). Gott zu sein bedeutet also, in einer nie endenden Ideenerkenntnis zu leben. Der Gott bleibt in seinem Sein notwendig ohne jede Wandlung. Die Ideenerkenntnis ist als die wahrhaft seiende Episteme im wahrhaft Seienden. Sie gehört wesensmäßig zum Gott.
Der Mensch ist dagegen durch seine Zeitlichkeit geprägt. Er weilt nur nach Möglichkeit bei den Ideen und verliert das Gewonnene immer wieder. Gott allein ist sophos. Das Ideendenken, das er wesensmäßig ist, ist seine sophia. Der Mensch wird durch die ihm erreichbare Ideenerkenntnis Gott ähnlich, aber nicht sophos, sondern wegen der zeitlichen Begrenztheit seiner Teilhabe am Göttlichen nur philo-sophos (Szlezák, a.a.O., S. 602). Jeder Mensch ist eine Marionette der Götter. Lust und Schmerz, Angst und Hoffnung sind die Fäden, an denen wir bewegt werden. An uns zieht aber auch der goldene und heilige Faden des Logismos, der zum richtigen Verhalten rät. Ob wir als Spielzeug oder aus einem gewissen Ernst entstanden sind, das wissen wir nicht (Platon, Nomoi 644c-645a). Der Herr des Himmels ist die Instanz, die den Seelen ihren Ort im Kosmos zuweist. Er ist ein Brettspieler, der uns verschiebt wie ein Spieler die Spielsteine (Platon, Nomoi 903d).
Chora: die Raum-Materie
Es ist die Natur des Intelligiblen, sich im Wahrnehmbaren abzubilden (Szlezák, a.a.O., S. 453). Dabei wirken die Formursache und die Materialursache. Die Form greift in die Raum-Materie (chora) ein, denn der Demiurg führt Grenze, Maß und Proportion in sie ein. Im Dialog „Timaios“ wird als dritte Gattung neben Ideenwelt und Sinnenwelt die Chora eingeführt. Die Chora steht nicht für einen leeren geometrischen Raum, sondern vereinigt in sich die Vorstellung von Raum und Materie. Sie ist ein Drittes neben dem Seienden und dem Werdenden. Sie ist die materiehafte Komponente des Werdens. Sie ist weder Sinnending noch Idee, sondern das die Ideen Aufnehmende. „Das aus der chora Werdende ist durch die Ideen geordnet nach Zahl und Maß, worin sich die von der Idee des Guten stammende teleologische Ausrichtung der sichtbaren Welt manifestiert, die sich nicht nur am Kosmos zeigt, sondern bis in die Einzelheiten der Einrichtung des menschlichen Körpers verfolgt werden kann.“ Die Chora ist die unbestimmte Zweiheit (aoristos dyas), sofern sie die wahrnehmbare Welt mitkonstituiert. Ohne sie gäbe es keine Sinnendinge (Szlezák, a.a.O., S. 123, 507). Die Chora ist kein leerer Raum oder Materie, sondern eher mit dem Begriff des „Feldes“ zu bezeichnen, weil sich in ihr Kräfte, Bewegungen und Strukturen manifestieren. Die Chora leistet der Vernunft Widerstand und unterliegt als umherschweifende Ursache noch nicht völlig dem Prozess der Rationalisierung (Michael Erler: Platon, 2007, S. 460).
Diese Raum-Materie vergleicht Platon mit dem Stoff (hylê), den die Handwerker gestalten. Sie ist ein vom Demiurgen unabhängig bestehendes Substrat. Sie ist amorph, aber zugleich form- und gestaltbar. Sie ist der gebärfreudige Schoß des Werdens, in ihr entstehen die Körper. Sie ist eine Art Raum, etwas Bestimmbares und damit etwas relativ Nichtseiendes. Der aufnehmende Raum ist keineswegs unbewegt, sondern das regellos und chaotisch Bewegte und Bewegende. Er befindet sich in einer dauernden Erschütterung. Er wird von den Stoffen, die er in sich hat, in eine ungleichmäßig schwankende Bewegung versetzt. Und gleichzeitig bewegt er diese Stoffe wiederum von sich aus. Diese Bewegung ist unbestimmt und regellos. Ebensowenig können Passivität und Aktivität der Bewegung eindeutig auseinandergehalten werden (Platon, Timaios 52e; Gaiser, a.a.O., S. 192).
Mit Chora wird im Griechischen gewöhnlich der Platz, der Ort, die Stelle einer Sache bezeichnet oder auch eine Fläche, das Land (im Gegensatz zur Stadt) oder ein ganzes Land und allgemein der Raum – freilich nicht der leere Raum, für den stets (to) kenon verwendet wird (Szlezák, a.a.O., S. 431). Sein, Raum und Werden existieren schon vor der Entstehung des Kosmos. Der unvergängliche Raum, in dem die Welt entstehen wird, ist nicht leer, sondern irgendwie gefüllt und sogar bewegt. Aber er ist selbst nicht wahrnehmbar, denn er ist außerhalb aller Gestalten. Er ist für alles Werdende das Aufnehmende, gleichsam eine Amme. Die Chora ist immerseiend, sich stets gleich und nimmt alles auf, ohne dieselbe Form anzunehmen wie die Dinge, die in sie eingehen. Sie ist zugleich aufnehmender Raum und aufnehmende Materie. Platon vergleicht die Chora mit dem Material eines Goldschmieds, das in verschiedene Formen übergehen kann.
Gesetzt, es hätte jemand sämtliche mathematische Figuren aus Gold gebildet und führe dann unaufhörlich fort, jede derselben in alle anderen umzubilden, und es zeigte dann jemand auf eine derselben hin und fragte: „Was ist das?”, so würde bei weitem die sicherste und richtigste Antwort sein „es ist Gold,” dagegen dürfte man nicht sagen: „Dies ist ein Dreieck“ oder irgend eine andere von den Figuren, welche in das Gold hineingebildet und in ihm entstanden sind, weil sie ja, eben erst gesetzt, auch schon sogleich wieder verändert werden, sondern müsste schon zufrieden sein, wenn der fragliche Gegenstand auch nur einen von einer dieser Figuren hergenommenen Ausdruck der Beschaffenheit mit einiger Sicherheit aufnimmt. Das Gleiche gilt nun auch von derjenigen Wesenheit, welche alle denkbaren Gestalten an sich zulässt. Sie muss immer als Einunddasselbe bezeichnet werden, denn sie tritt durchaus niemals aus ihrer Beschaffenheit heraus. Sie nimmt nämlich alles auf und nimmt doch nie und in keiner Weise irgendeine Gestalt an, die irgendeiner von demjenigen ähnlich wäre, was in sie eingeht, sondern wie eine bildsame Masse liegt sie für ein jedes zum Abdrucke bereit und lässt sich durch alles, was in sie eintritt, verändern und in Gestalten kleiden, und dadurch erscheint sie denn bald in dieser und bald in jener Form. Was aber in sie eintritt und aus ihr heraustritt, sind stets Abdrücke des Seienden, welche auf eine schwer zu beschreibende und wunderbare Weise zustande gekommen sind. (Platon, Timaios 50a-d)
Die aufnehmende Chora hat teil am Intelligiblen. Schon bevor der Himmel entstand, hatte sie als Amme die Spuren der vier Elemente aufgenommen. Doch die Elemente bewegten sich in ungeordneter und abwegiger Weise. Sie entbehrten der Proportion und des Maßes. Es fehlten Gleichmaß und Gleichgewicht. Die Spuren der Elemente erschütterten die Chora und wurden ihrerseits von ihr erschüttert. In diesen Zustand griff der Demiurg ein, indem er die vier Elemente durch Formen und Zahlen ordnete. Davor hatten Feuer, Wasser, Erde und Luft noch nicht ihre Formen, sondern nur gewisse Spuren ihrer selbst. „Die mit den Spuren angefüllte nicht wahrnehmbare chora hat die Potentialität (dynamis), zur sichtbaren Materie zu werden“ (Szlezák, a.a.O., S. 434).
Polyeder und Atomdreiecke
Feuer, Luft, Wasser und Erde sind die vier Grundformen der Materie, die sich mit Ausnahme der Erde ineinander umwandeln können. Die vier Elemente bestehen aus regelmäßigen Polyedern, die ihrerseits aus kleinen rechtwinklig-gleichschenkligen Dreiecken – einer Art geometrischer Atome – bestehen. Damit ist Platon nach Demokrit einer der bedeutenden Schöpfer der atomistischen Theorie der Materie und der Elemente und zugleich der erste Begründer eines mathematischen Atomismus. Das Dreieck ist die einfachste Figur, in die sich die geometrischen Figuren teilen lassen. Hans-Georg Gadamer betont in diesem Zusammenhang das ideale Wesen dieser kleinsten Teilchen: „Die Annahme der Unteilbarkeit letzter Atomdreiecke beruht also auf einer eidetischen Unteilbarkeit. Denn Unteilbarkeit ist das Wesen des Dreiecks in dem Sinne, dass sich aus ihm keine einfachere Figur durch Teilung mehr ergibt. Platons Atome sind keine letzten, dem Zerfall der erscheinenden Gestalten, der Zerstörung aller Formeinheiten widerstehende Wirklichkeiten, sondern sie sind die Urformen des Körperlichen selbst. Und es sind nicht zufällige Figuren, die aus ihrer Zusammenfügung entspringen, sondern die regulären ‚platonischen Körper‘. Die Atomdreiecke sind nicht die Endeswirklichkeit einer möglichen Splitterung des Körperhaften, sondern die ursprünglichen Bausteine des Regelmäßigen“ (Hans Georg Gadamer: Gesammelte Werke, Bd. 5, Griechische Philosophie, 1985, S. 278).
Diese Unteilbarkeit der kleinsten Teilchen gilt jedenfalls dort, wo Materie Form angenommen hat und zu „etwas“ geworden ist. Anders verhält es sich nach Platon aber mit der Materie vor der Formgebung und damit vor der Entstehung der Materie als Körperlichkeit. In der vierten Hypothese des Parmenides argumentiert Platon im Gegensatz zu Demokrit, dass Materie als reine Quantität wie alles Quantitative immer weiter aufgeteilt werden könne: Nichts wäre so klein, dass es nicht ein Kleineres gäbe, das niemand sehen könne. „Die Materie an sich ist Chaos und Finsternis, aber Körperlichkeit ist von seelisch vermitteltem Geist und Licht“ (Egil A. Wyller: Gestern und morgen, heute. Henologische Essays zur europäischen Geistesgeschichte, 2005, S. 36 f.).
Primäre und sekundäre Ursachen
Alles Geschehen hat eine Ursache. Die zweckmäßig gestaltenden Ideen sind die ersten, göttlichen Ursachen. Die Materie hemmt die Zweckmäßigkeit und Ordnung des Geschehens. Sekundäre, notwendige Ursachen sind deshalb die blinden, mechanischen Einwirkungen des Materiellen (Platon, Timaios 46c ff., 69a; Phaidon 79b ff.). Die Ursachenart der Notwendigkeit beinhaltet alle Zwänge, die die Chora als „Amme des Werdens“ dem kosmologischen Entstehungsprozess auferlegt. Die göttliche Ursache wirkt dreifach:
als Zielursache gibt sie vor, dass alles dem Konstrukteur der Welt ähnlich werden muss, und das heißt gut, denn Gutsein ist sein Wesen;
als Formursache ist sie der Ursprung von „Gestalt und Zahl“;
als Wirkursache, denn mit „Gestalt und Zahl“ gestaltete der Gott die Welt (Platon, Timaios 53b). Das Eine der Prinzipienlehre, das zugleich das Gute ist, steht im Prozess der Entstehung der Wirklichkeit für alle Ursächlichkeit mit Ausnahme der Ursächlichkeit für Zersplitterung und Vielfalt.
In seinem Schlusswort im Timaios bekräftigt Platon nochmals, dass die mythische Ausgestaltung seiner Naturphilosophie an das vollkommene Reich der Ideen anknüpft. Der Kosmos ist das Werk eines Schöpfers, der sich an idealen Verhältnissen orientierte.
Und nunmehr möchten wir denn auch behaupten, daß unsere Erörterung über das Universum ihr Ziel erreicht habe. Denn nachdem dieser Kosmos mit sterblichen Lebewesen und unsterblichen belebten Wesen [den Gestirnen] ausgerüstet und erfüllt wurde, ist er selbst zu einem sichtbaren lebendigen Wesen geworden, welches alle sichtbaren Geschöpfe umfaßt, ein sinnlich wahrnehmbarer Gott, geschaffen nach dem Bild des intelligiblen Gottes, er wurde zum Größten und Besten, zum Schönsten und Vollkommensten - der Himmel, dieser einziggezeugte und eine. (Platon, Timaios 92c; monogenes: der einzige seiner Art/Verwandtschaft, einzigartige, eingeborene, der in dem intelligiblen Gott selbst hervorgeht)